Resozialisierung bedeutet die gesamtgesellschaftliche Wiedereingliederung. Warum findet die Digitalisierung als maßgeblich gesellschaftsprägender Faktor aktuell kaum Platz in Resozialisierungsprogrammen von JVAs in Nordrheinwestfalen? Dieses User-Experience-Projekt basiert auf der Annahme, dass die fehlende Vorbereitung von Gefangenen auf die digitale Wirtschaft einen Zusammenhang mit wiederholter Straffälligkeit besitzt.
In Kooperation mit einem Kölner Resozialisierungsheim wurde die Problematik untersucht um zu ermitteln, wo ein gestalterischer Lösungsansatz benötigt wird. Das Fazit: Bevor wir uns mit konkreten Maßnahmen beschäftigen, müssen wir kompetenzanalytisch auf den Einzelnen blicken. Zumeist wird nämlich gar nicht untersucht, für welche berufliche Ausrichtung er das Potenzial und die Motivation besitzt. Konzipiert wurde Kompetenzanalyseprozess, der die digitalen Voraussetzungen von Strafgefangenen analysiert und fördert. Als „digitale Kompetenzen“ werden hier vorwiegend methodische Fertigkeiten verstanden, die in der Informationsgesellschaft zunehmend über Fachwissen stehen.
Untergeordnet in drei Phasen werden die psychologischen, medienbezogenen und soziologischen Dispositionen der Zielgruppe zur Vorbereitung auf die Anforderungen der digitalen Wirtschaft beachtet. Der pädagogische und mediale Maßnahmenmix basiert auf Erfahrungsberichten von ehemaligen Strafgefangenen und Sozialarbeiter*innen.
In der Aufnahmephase 1, „Initiative“, werden die Teilnahmenden anhand der Messung ihrer Motivation bestimmt. Nach dem Risikomodell bestimmt hier nicht die Lösung, sondern die Auswahl des Schwierigkeitsgrads der Aufgabe.1
Phase 2, „Kompetenzanalyse“ ermittelt durch analoge und virtuelle Elemente, sowie den Einsatz von Pädagogen und Akteuren der freien Wirtschaft in drei Schritten die Kompetenzen der Teilnehmer. Die Kernbestanteile sind hier die biografische Kompetenzanalyse, digitale Projektsimulation und Projektumsetzung für einen realen Auftraggebenden. Dem gesamten Prozess ist ein Bewertungssystem übergeordnet, dass die Entwicklung der Teilnehmenden in einem Kompetenzprofil abbildet.



Phase 3 „Perspektive“ stellt das Ziel des Prozesses dar: den Zugang zur freien Wirtschaft und eine individuelle Zielformulierung. Durch die Praxiserfahrung und den Kontakt zu Unternehmen vorab kann diese bereits in der JVA in Form von Telearbeit beginnen. Ein Prozess als Gestaltungsgegenstand ist vergleichsweise abstrakt und nicht direkt greifbar. Umso relevanter ist hier die Rolle der Informationsvisualisierung. Zur nachvollziehbaren Vermittlung des Konzepts wurde auf eine Experience-Map zurückgegriffen. Um den Prozess Schritt für Schritt an Außenstehende zu kommunizieren, wurden illustrierte Animationen in Kombination mit den Audio-Dateien erstellt. Die weitest mögliche Simplifizierung der Darstellung soll die Unvoreingenommenheit der Rezipient*innen bewahren. Die bestehenden Klischees um Straffälligkeit spielen hier keine Rolle – im Zentrum stehen die individuellen Erfahrungen der Zielgruppe und die darauf aufbauenden Bestandteile des Prozesses.
Aus der Komplexität der Thematik geht hervor, dass dieser Lösungsansatz als dynamisch betrachtet werden muss und der stetigen Evaluation – beispielsweise aus technologischer und psychologischer Sicht – durch andere Disziplinen und die Zielgruppe bedarf. Die Rolle der Gestaltung ist hierbei essenziell für die Entwicklung konkreter Lösungskonzepte.
1 Vgl. Brandstätter, V., Schüler, J., Puca, R. M., Lozo, L. 2013 S. 30
